Er ist da: Der erste Kölner Lebenslagenbericht. Endlich.

Er ist da: Der erste Kölner Lebenslagenbericht. Endlich.

Eine Kurzfassung des Artikels ist im Platzjabbeck, der Zeitschrift der
Fraktion DIE LINKE. im Rat der Stadt Köln, Ausgabe 3/2021 erschienen.

Am 24. März 2021 hat die Kölner Stadtverwaltung ihn dann doch den politischen Gremien vorgelegt: Den ersten Kölner Lebenslagenbericht. Vier Jahre, nachdem der Rat der Stadt Köln den Auftrag hierzu erteilt hatte; und ein Jahr, nachdem das ISG (Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik) ihn fertiggestellt hat.

Der Bericht bündelt lediglich bereits vorhandenes Wissen. Dazu werden im Wesentlichen Daten aus dem Jahr 2018 herangezogen. Auf eine eigenständige Erhebung von Daten wurde verzichtet. Und die Stadtverwaltung hat das Jahr seit dem Abschluss der Arbeit am Lebenslagenbericht auch nicht genutzt, in den Bericht neueste Erkenntnisse über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Lebenslagen der Kölner*innen aufzunehmen. Auf eine diesbezügliche Anfrage der SPD-Fraktion erläutert die Stadtverwaltung lediglich, es sei davon auszugehen, „dass die Corona-Pandemie wie ein Brennglas wirkt und die im Bericht aufgezeigten Problemlagen noch deutlicher hervortreten und bestehende Herausforderungen sich noch verschärfen“.

Dennoch sieht der Kölner Sozialdezernent Dr. Harald Rau in ihm eine „wertvolle Arbeitsgrundlage“. Auf eine Anfrage der Fraktion DIE LINKE hin erläuterte die Stadtverwaltung, sie fühle sich durch den Bericht bestätigt und wolle zukünftig „stärker“, „noch stärker“ und „mehr noch als bisher“ das tun, was sie bisher schon getan hat. Als wenn es dazu dieses Berichtes bedurft hätte.

Und die einzige Schlussfolgerung aus dem Bericht: Nun soll der Rat die Verwaltung beauftragen, auf Basis der Erkenntnisse des Lebenslagenberichts die integrierte, strategische Sozialplanung zu verstetigen und auszubauen. Auch hierzu hätte es dieses Berichtes nicht bedurft.

Bringt der Lebenslagenbericht tatsächlich so wenig neue Erkenntnisse?

NEUE Armut in Köln. Ein Mann fällt aus einer Reihe von Menschen heraus.

Abbildung: Kölner Arbeitslosenzentrum, u.a. (Hg.): Neue Armut in Köln, Köln 1984

Lebenslagenberichterstattung

Der Vorgänger des aktuellen Berichts, der Kölner Sozialbericht 2004, verwandte ein (erweitertes) Ressourcen-Konzept. Im Zentrum stand die Überwindung bestehender und die Vermeidung neuer Sozialhilfebedürftigkeit. Methodisch wurde vorrangig das Einkommen erfasst, zudem wurden weitere Merkmale wie Erwerbsstatus und Bildung erhoben und analysiert.

Der aktuelle Lebenslagenbericht hingegen unterstellt, „dass ‚Armut‘ nicht nur einen Mangel an finanziellen Mitteln bedeutet, sondern darüber hinaus in dem Ausmaß der Teilhabe in verschiedenen Lebenslagenbereichen wie z.B. Wohnen, Bildung, Gesundheit oder Erwerbstätigkeit sichtbar wird.“ (13) Lebenslagenberichterstattung sollte das Ausmaß thematisieren, „in dem sich Benachteiligungen und Privilegierungen in verschiedenen Einkommens- und Lebenslagen überlappen (kumulative Benachteiligungen und Privilegierungen) – oder umgekehrt auch ausgleichen können“ (BMAS, 24).

Zwar ist es richtig, dass Armut allein durch die finanzielle Dimension nicht ausreichend erfasst wird. Doch während selbst die Bundesregierung in ihren aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht den engen Zusammenhang von Lebenslagen mit den Einkommen und Vermögen sowie deren Entwicklung und Verteilung betont, ist im Kölner Lebenslagenbericht der „materielle Lebensstandard des Haushaltes“ nur eine Dimension unter vielen. Damit gerät aus dem Blick, dass in Marktgesellschaften vorrangig Einkommen und Vermögen Zugang zu den Gütern und Dienstleistungen ermöglicht.

Was in dem Bericht völlig fehlt, ist eine kritische Diskussion der Gründe der ungleichen Teilhabe. Diesen gravierenden Mangel teilt er übrigens mit den Armuts- und Reichtumsberichten der Bundesregierung. Diesem „voluminösen Dokument“ wirft der Kölner Politikwissenschaftler Prof. Christoph Butterwegge vor: „Nach den gesellschaftlichen Ursachen der ausführlich beschriebenen Verteilungsschieflage wird überhaupt nicht gefragt.“

Wann ist ein Mensch arm?

Der Lebenslagenbericht bezieht sich auf „relative Armut“ und übernimmt hier die verbreitete Übereinkunft, wonach arm ist, wer über weniger als 60% des mittleren Einkommens (Median) verfügt. Allerdings spricht der Bericht in diesem Fall nur von einer „Armutsgefährdung“ oder einem „Armutsrisiko“. (52) Zur Begründung wird angeführt, dass „nicht jede Person, die dieses statistische Kriterium erfüllt, auch tatsächlich arm sein muss“. (52) Demgegenüber betont der Paritätische Gesamtverband in seinem Armutsbericht ausdrücklich, der Begriff „Armutsgefährdung“ müsse „angesichts der Einkommen, um die es konkret geht und der sich dahinter real verbergenden massiven Armutsprobleme eher als Euphemismus angesehen werden.“ (Der Paritätische Gesamtverband, 30)

Aufbau und wesentliche Erkenntnisse des Berichts

Wichtige Ziele des Berichts sind die verbesserte Steuerung begrenzter Ressourcen und die Identifizierung von Räumen, in denen besondere Problemlagen gehäuft auftreten. Dazu wählt der Bericht verschiedene Ansätze:

  • Für die vier Lebensphasen Kinder- und Jugendalter, frühes Erwachsenenalter, mittleres Erwachsenenalter und Seniorenalter werden Teilhaberisiken und -chancen identifiziert und beschrieben sowie Handlungserfordernisse aufgezeigt;
  • die Kölner Stadtteile werden in vier Lebenslagentypen eingeteilt und für die Stadtteile, die erhöhte Problem- und Bedarfslagen aufweisen, werden kleinräumig aufbereitete Stadtteilprofile erstellt;
  • durchgängig werden bei allen Analysen als Querschnittsthemen untersucht, welche unterschiedlichen Belastungen sich für Männer und Frauen ergeben, wie sich Belastungen auf die Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund sowie auf Personen mit und ohne Behinderungen auswirken.

Was folgt nun aus dem Bericht?

Der Bericht selbst spricht ja – wie vorgesehen – keine Handlungsempfehlungen aus. Die Konsequenzen aus dem Bericht müssen nun Politik und Verwaltung ziehen.

Die Verwaltung kündigt an, – nach einem vergeudeten Jahr – nun endlich die wesentlichen Herausforderungen für die zukünftige Entwicklung Kölns herausarbeiten und Ziele, Strategien und Handlungsempfehlungen zu deren Bewältigung zu entwickeln.

Dazu sollte zunächst die bereits erwähnte Verstetigung und der Ausbau der integrierten, strategischen Sozialplanung gehören. Dann aber notwendigerweise auch Maßnahmen, wie auf die besondere Brisanz der Teilhaberisiken in den frühen Lebensjahren zu reagieren ist, und wie die „erhöhte Aufmerksamkeit“ für die 16 Stadtteile mit stark erhöhten Problemlagen aussehen kann.

Das Ziel müssen gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Veedeln sein. Dazu würde es beitragen, das Programm „Lebenswerte Veedel“ auf weitere Sozialräume auszuweiten. Die Lebensverhältnisse lassen sich nur dann stärker angleichen, wenn man vor allem die benachteiligten Stadtteile fördert: Hier gehören die besten Kitas und Schulen hin, hier müssen Freizeit-, Sport- und Kulturangebote bevorzugt gefördert werden, hier müssen städtische Gebäude zuerst saniert und modernisiert werden.

Angekündigt wird eine langfristig und kontinuierlich angelegte Lebenslagenberichterstattung. In diesen folgenden Berichten wäre dann die Gelegenheit, Lücken zu schließen. Dazu zählt etwa die fehlende Darstellung der kommunalen Leistungen in Form von bestehenden Angebotsstrukturen oder finanziellen Investitionen (eine Art „Angebotsatlas“).

Literatur:

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hg.): Lebenslagen in Deutschland. Der Sechste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Bonn, 2021

Christoph Butterwegge: Dramatische Ungleichheit; in: Kölner Stadt-Anzeiger, 12.5.2021.

Der Paritätische Gesamtverband (Hg.): Gegen Armut hilft Geld. Der Paritätische Armutsbericht 2020, Berlin, 2020

Kölner Arbeitslosenzentrum, u.a. (Hg.): Neue Armut in Köln, Köln 1984

Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.): Sozialbericht NRW. Armuts- und Reichtumsbericht, Düsseldorf, 2020

Stadt Köln (Hg.): 1. Kölner Lebenslagenbericht 2020, Köln 2020

Stadt Köln (Hg.): Sozialbericht Köln 2004, Köln 2005

Hinweis: Eine Kurzfassung des Artikels ist im Platzjabbeck, der Zeitschrift der Fraktion DIE LINKE. im Rat der Stadt Köln, Ausgabe 3/2021 erschienen.

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