
Gentrifizierung
Besprechung von
Lisa Vollmer: Strategien gegen Gentrifizierung
Schmetterling Verlag, 2018
163 Seiten, 12 Euro
Jan Üblacker: Gentrifizierungsforschung in Deutschland. Eine systematische Forschungssynthese der empirischen Befunde zur Aufwertung von Wohngebieten
Budrich UniPress Ltd., 2018
230 Seiten, 32 Euro
Die Rezension ist in der Z 125 erschienen.
„Gentrifizierung“ – der von der englischen Soziologin Ruth Glass in den 1960er Jahren geprägt Begriff hat seit einigen Jahren wieder Konjunktur. Der umstrittene Begriff wird nicht nur im akademischen Bereich verwendet, sondern hat längst Eingang in die politischen Debatten, Medienberichterstattung und vor allem in den Bewegungsjargon gefunden.
Mit Gentrifizierung bezeichnete sozialen und baulichen Veränderungen werden nicht nur in deutschen Großstädten, sondern mittlerweile auch in einer Vielzahl von Mittelstädten und sogar in ländlichen Räumen nachgewiesen. Der Austausch einer statusniedrigeren durch eine statushöhere Bewohnerschaft in einem Wohngebiet – so der von Üblacker zusammengefasste kleinste gemeinsame Nenner der deutschen Gentrifizierung-Forschung darüber, wann von Gentrifizierung gesprochen werden kann – stellt eine der großen Herausforderungen der aktuellen und zukünftigen Stadtentwicklung dar.
So ist es verdienstvoll, dass der Schmetterling Verlag in seiner Reihe theorie.org eine Einführung vorlegt, die einerseits eine Darstellung von gängigen Gentrifizierungs-Theorien und andererseits eine Übersicht über eine bunte Vielfalt an Mieter*innenprotesten in deutschen Städten bietet.
Das von Lisa Vollmer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Europäische Urbanistik der Bauhaus-Universität Weimar, verfasste schmale Bändchen richtet sich vor allem an diejenigen, die sich gegen ihre eigene Verdrängung oder die ihrer Nachbar*innen wehren.
Seit dem Erscheinen von Andrej Holms „Wir bleiben Alle! Gentrifizierung – städtische Konflikte um Aufwertung und Verdrängung“[1] und Christoph Twickels „Gentrifidingsbums. Oder eine Stadt für Alle“ (Twickel 2010)[2] im Jahr 2010 sind eine ganze Reihe an Publikationen erschienen, die die Strategien von Mieter*innenprotesten gegen Gentrifizierung beschreiben. So ist es an der Zeit, quasi eine aktualisierte Neuauflage dieser verbreiteten Einführungen vorzulegen.
Ihr Ziel, auf die neuen Debatten und Publikationen aufbauend einen aktuellen Überblick über Gentrifizierung und die Proteste dagegen zu geben, erreicht Vollmer voll und ganz.
Dieses Bändchen möchte ein Anstoß für Initiativen sein, ihre Strategien auszutauschen, ihre Proteste zu vernetzen, ihre politischen Forderungen und ihre konkreten Utopien zu kollektivieren. Kurz und übersichtlich werden zunächst die Gentrifizierung, ihre verschiedenen Arten und die unterschiedlichen Erklärungsansätze vorgestellt. Der zweite Teil widmet sich dann „Politiken gegen Inwertsetzung“ (Vollmer, 74). Das Ziel ist, Wege aufzuzeigen, die Wohnungsfrage zu politisieren. Auf diesem Weg könne die Markmacht in der Wohnungspolitik eingeschränkt oder sogar abgeschafft werden – so die Hoffnung Vollmers. Wichtig ist ihr auch, die konfliktbetonte Praxis vieler Mieter*inneninitiativen als notwendige Abwehr der Vereinnahmung durch eine Partizipationsidee darzustellen, der zufolge alle auftretenden Planungsprobleme durch die Aushandlung eines Konsenses gelöst werden können.
Der Schmetterling Verlag hat eine im guten Sinne parteiische Einführung vorgelegt. Es ist zu hoffen, dass sie ihr Ziel erreicht: Menschen zu ermuntern, für konkrete materielle Verbesserungen für diejenigen zu streiten, die auf vielfache Weise von der Gesellschaft ausgeschlossen sind.
Das Ziel der zweiten hier besprochenen Veröffentlichung ist es, die empirischen Befunde der an deutschen Hochschulen seit 1980 entstandenen Qualifikationsarbeiten zur Gentrifizierung aufzubereiten, zu systematisieren und mit den zentralen empirischen Befunden der publizierten Literatur abzugleichen. Der mittlerweile an der EBZ Business School in Bochum lehrende Stadtsoziologie Jan Üblacker erhofft sich durch diese systematische Sichtung und Aufbereitung eine Schließung der von ihm konstatierten Lücke zwischen den Theorien der soziologischen Stadtforschung und der Möglichkeit, diese mit den vorhandenen Daten, Methoden und Fördergeldern zu testen.
Entstanden ist diese beeindruckende Fleißarbeit als Teil des Forschungsprojekt „Entwicklung der Gentrification-Forschung in Deutschland 1980 bis 2012“ am Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Universität zu Köln. Erfasst wurden 327 Qualifikationsarbeiten; von diesen konnten 70 bezogen und untersucht werden.
Die Mehrheit der Qualifikationsarbeiten geht der Frage nach, ob es im Untersuchungsgebiet zu Gentrifizierung gekommen oder ob aktuell ein Prozess der Gentrifizierung erkennbar ist. Häufig untersuchen die Arbeiten dabei die Rolle von Akteuren der Gentrifizierung. Einige Arbeiten berichten über Konflikt- und Protestformen.
Allerdings – so die Bewertung Üblackers – kranken auch die Qualifikationsarbeiten an den gleichen Mängeln wie die deutsche Gentrifizierungs-Forschung insgesamt: Sie beschränken sich oft auf jeweils ein Untersuchungsgebiet. Nur sehr wenige Arbeiten vergleichen mehrere Gebiete, versuchen gesamtstädtische Übersichten zu erstellen oder suchen die Ursachen für den gebietsbezogenen Wandel auf einer übergeordneten Ebene. So bleibt denn auch unklar, inwieweit die beobachteten Entwicklungen im Vergleich zur gesamten Stadt besondere Dynamiken abbilden. Insgesamt bemängelt Üblacker den stark deskriptiven Charakter der Arbeiten.
Lange Zeit bildeten nachfrageseitige Erklärungen und die daraus abgeleiteten Akteursdefinitionen (Pioniere, Gentrifier, Andere) und Verlaufsmodelle (doppelter Invasions-Sukzessions-Zyklus) das zentrale theoretische Fundament der deutschen Gentrifizierungs-Forschung.[3] Diese einseitige Perspektive wird zunehmend kritisiert. Seit Anfang der 2000er Jahre werden verstärkt auch angebotsseitige Erklärungen aufgenommen und Eigentumsverhältnisse oder Investitionsverhalten auf lokalen Wohnungsmärkten in die Untersuchungen einbezogen.
Üblacker zieht ein kritisches Fazit der deutschen Gentrifizierung-Forschung: Sie sei „selbstreferentiell“ (Üblacker, 180) und berücksichtige kaum aktuelle empirische Befunde der internationalen Forschung. Während in der internationalen Literatur die Einflüsse von Wohnungs-, Grundstücks- und Finanzmärkten, von nationalen, regionalen und kommunalen Stadtentwicklungspolitiken sowie von verschiedenen Wohnungsmarktakteuren erhebliche Beachtung finden, werden sie in deutschen empirischen Untersuchungen kaum systematisch berücksichtigt.
Als Konsequenz aus der Auswertung der Qualifikationsarbeiten und deren Abgleich mit dem deutschen Forschungsstand plädiert Üblacker unter anderem dafür, neben der baulichen und sozialen Aufwertung auch symbolische und gewerbliche Einflussfaktoren zu berücksichtigen; die Vielfalt der Erscheinungsformen der Gentrifizierung zu beachten; und verschiedene disziplinäre Perspektiven stärker zu integrieren.
Darüber hinaus sollte die deutsche Gentrifizierung-Forschung sich um eine stärkere Integration nachfrageseitiger und angebotsseitiger Erklärungsansätze bemühen. Nur auf diesem Weg – so die übereinstimmende Konsequenz von Vollmer und Üblacker – ist ein vollständiges Bild von Gentrifizierungs-Prozessen zu erhalten.
Erschienen in: Zeitschrift marxistische Erneuerung. Nr. 125 (März 2021), S. 237-239
-
Andrej Holm: Wir bleiben Alle! Gentrifizierung – städtische Konflikte um Aufwertung und Verdrängung, Münster, 2010. ↑
-
Christoph Twickel: Gentrifidingsbums. Oder eine Stadt für Alle, Hamburg, 2010. Beide besprochen von Bernd Belina in Z. Nr. 85 (März 2011). ↑
-
So z.B. in: Jürgen Friedrichs: Stadtsoziologie, Opladen, 1995. ↑