Gentrifizierung und Verdrängung verhindern
Wohnen bleiben!
Gentrifizierung und Verdrängung verhindern
Erschienen in: Platzjabbeck. Zeitschrift der Fraktion DIE LINKE im Rat der Stadt Köln, Ausgabe 6/2022
Jan Glatter, Michael Mießner (Hrsg.):
Gentrifizierung und Verdrängung
transcript Verlag, Bielefeld, 2022
Kölner Mieter*innen erleben seit Jahren eine Mietsteigerung nach der nächsten. Für viele ist die finanzielle Belastung mittlerweile so hoch, dass jede weitere Erhöhung der Miete den Auszug aus der Wohnung erzwingt. Ein weiterer Grund, aus der Wohnungen ausziehen zu müssen, sind Eigenbedarfskündigungen. Oftmals erfolgen diese nach der Umwandlung der Mietwohnung in eine Eigentumswohnung. Auf diesen Wegen werden immer mehr ärmerer Haushalte aus ihrer Wohnung und damit oftmals auch aus ihrem Viertel verdrängt.
Um diese Prozesse besser zu verstehen, haben Marcela Cano und Hans Günter Bell im Arbeitskreis Stadtentwicklung der Fraktion DIE LINKE im Kölner Rat den von Jan Glatter und Michael Mießner herausgegebenen Sammelband „Gentrifizierung und Verdrängung“ vorgestellt. Er gibt einen Überblick über aktuelle Debatten in der deutschsprachigen Gentrifizierungsforschung und regt zu weiteren Diskussion über neue theoretische und methodische Herausforderungen sowie praktische Handlungsansätze an.
Der Begriff Gentrifizierung ist international weit verbreitet. In der deutschsprachigen Forschung hat die Auseinandersetzung mit Gentrifizierung in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich zugenommen. Besonders oft befassen sich Wissenschaftler*innen neben Berlin auch mit Köln.
Erste Aufwertungsprozesse, die aus heutiger Sicht als Gentrifizierung gedeutet werden können, lassen sich für den deutschsprachigen Raum seit Mitte der 1960er Jahre beobachten. Als Beispiel wird von Glatter und Mießner u.a. die Kölner Südstadt genannt; als Beispiele in späteren Phasen u.a. Sülz und Klettenberg.
Die aktuelle Phase der Gentrifizierung ist durch das steigende Interesse privater Unternehmen an Investitionen in die Wohnungs- und Immobilienmärkte in Deutschland geprägt. Dies wurde durch den Verkauf öffentlicher Wohnungsbestände und die Deregulierung der Wohnungs- und Stadterneuerungspolitik ermöglicht. Quartiere, die bereits früher eine Aufwertung erfahren haben, sind nun erneut betroffen. Zudem werden neue Quartiere erfasst.
Als Gentrifizierung werden ganz unterschiedliche Erscheinungen bezeichnet. Glatter und Mießner benennen als gemeinsames Grundverständnis zwei Aspekte: Erstens ist die Gentrifizierung immer mit der immobilienwirtschaftlichen Aufwertung eines Quartiers verbunden. Zweitens ist allen Interpretationen gemein, dass Gentrifizierung durch den Austausch einkommensschwacher durch einkommensstarke Haushalte gekennzeichnet ist.
Der Umgang mit Gentrifizierung ist in der Politik und Planung unterschiedlich. Mancherorts wird Gentrifizierung als eine politische Strategie der Stadtentwicklung im Wettbewerb um Investitionen und erwünschte Bewohner*innen angesehen.
Ein aktuelles Kölner Beispiel hierfür ist ein Offener Brief des Bürgervereins und der Standortgemeinschaft Kalk zur geplanten Verkehrsberuhigung der Kalker Hauptstraße. In diesem Brief wird die mangelnde Kaufkraft der „überwiegend sozial schwachen und multiethnischen Anwohner“ beklagt und von einer „sozialgerechten Gentrifikation“ die „Generierung einer alternativen, bzw. bürgerlichen Nachfrage“ erhofft.
Andernorts wird versucht, mit planerischen Eingriffen auf Gentrifizierung und deren Folgen Einfluss zu nehmen. Hier werden dann beispielsweise Soziale Erhaltungssatzungen erlassen.
Aber obwohl seit Anfang der 1990er Jahre wissenschaftliche Untersuchungen für zahlreiche Kölner Stadtteile die Verdrängung einkommensschwacher Haushalte belegen, wurde 1996 zunächst nur in der Stegerwald-Siedlung eine Soziale Erhaltungssatzung erlassen. Dann geschah lange Jahre nichts. Die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung schauten der Verdrängung zu und wiegelten ab.
Der wachsende Druck auf dem Wohnungsmarkt führte dann doch zum Beschluss weiterer Sozialer Erhaltungssatzungen: im Severinsviertel (2020) und in Mülheim Süd-West (2022). In der Neustadt Süd-West (Rathenauplatz) und in Ehrenfeld Ost laufen aktuell vorbereitende Untersuchungen für Soziale Erhaltungssatzungen.
In ihrer Bündnisvereinbarung haben CDU, Grüne und volt 2021 festgelegt, in lediglich vier weiteren Quartieren sozialen Erhaltungssatzungen auszuweisen. Dieser willkürlichen Vorgabe scheint die Verwaltung strikt zu beachten. Mit der Folge, dass der Einsatz der Sozialen Erhaltungssatzung in Köln entgegen den wissenschaftlichen Erkenntnissen und fachlichen Erfordernissen weiter nur zu zögerlich angewandt wird.
Diese Zurückhaltung meint sich das Mehrheitsbündnis im Rat leisten zu können, weil sich in Köln – anders als etwa in Berlin – bisher nur wenig Protest regt. Die Initiative „Recht auf Stadt“ ist klein, die wohnungspolitischen Aktionen sind schwach besucht.
Immerhin greifen Mieterverein und DGB das Thema immer wieder auf. Ein Lichtblick ist auch, dass sich in mittlerweile drei Stadtteilen Initiativen für die Ausweisung bzw. engagierte Umsetzung der Sozialen Erhaltungssatzung einsetzen: im Severinsviertel, am Rathenauplatz und in Nippes.