Vorschläge zur weiteren Debatte über die imperiale Lebensweise

Vorschläge zur weiteren Debatte über die imperiale Lebensweise

Erschienen in spw 232

von Hans Günter Bell und Paul Schäfer

Mit ihrem Buch über die „imperiale Lebensweise“ und nachfolgenden Zeitschriftenaufsätzen haben Ulrich Brand und Markus Wissen eine Debatte ausgelöst, die es verdient, weiter aufgegriffen zu werden. Mit ihren Überlegungen haben die beiden Autoren offenkundig einen Nerv getroffen und wichtige Denkanstöße gegeben. Aber auch Kritisches war zu hören. Ob mit dieser Analyse die Metamorphosen des gegenwärtigen internationalen Kapitalismus adäquat erfasst würden, ist gefragt worden. Die These, „wir“ in den kapitalistischen Metropolen lebten auf Kosten Anderer, könnte den Blick auf die sozialen Widersprüche in diesen Zentren verstellen, wurde angemerkt.
Diese Debatte soll hier nicht nachgezeichnet werden. Allerdings ist uns der Hinweis wichtig, dass eine der zentralen Schlussfolgerungen von Brand/Wissen auch von uns für richtig gehalten wird: Wir müssen uns der Debatte um die Grenzen des Planeten Erde („planetary boundaries“) stellen und es kann – was den Kapitalismus als „weltökologisches System“ (Elmar Altvater) angeht – bei Strafe des Untergangs kein „Weiter so“ geben. Dieser Befund, und darauf kommt es hier an, schließt nach unserer festen Überzeugung erhebliche Veränderungen des Lebensstils, der Konsumgewohnheiten der Menschen ein. Gerade das macht Umdenken so schwierig, auch Linke haben sich eingerichtet. Veränderung der Gesellschaft und Selbstveränderung der sozialen Akteure, standen immer in einem Zusammenhang. Die heutige Verzahnung hat indes neue Dimensionen, erfasst sie doch nahezu alle Seiten des eigenen Handelns, von der Ernährung, über Kleidung, Mobilität usw.

Machtfragen und Konsumkritik

Aber in welchem Verhältnis steht diese Veränderung im alltäglichen Verhalten der Menschen zum Erfordernis einer Großen Transformation, die auch die Macht- und Eigentumsverhältnisse umschließt? Und welche Konzepte und Strategien sind notwendig, damit die Gegenkräfte zur imperialen Lebensweise überhaupt hegemonial werden können?
An dieser Stelle wollen wir auf eine kritische Anmerkung nicht verzichten: Die von Brand/Wissen formulierte These, dass die relative Stabilität des globalen Kapitalismus nicht zuletzt damit zu tun hat, dass die Menschen in den kapitalistischen Metropolen ihr „besseres Leben“ dem Elend anderswo verdankten und sie daher auf Protest und Widerstand verzichteten, halten wir nur bedingt für tauglich. Es ist richtig, dass auch die unteren Klassen und Schichten in den „Genuss“ einer globalisierten Landwirtschaftsindustrie kommen und, um nur ein Beispiel zu nennen, auch im Januar Südfrüchte kaufen können. Damit sind auch sie in einem System verfangen, dass zur massenhaften Vernichtung bäuerlicher Existenzen und großflächigen Naturzerstörung führt (Brandrodungen, Plantagenwirtschaft etc.). Aber Verursacher und Treiber dieser Entwicklung sind die großen Nahrungsmittelkonzerne, die Bodenspekulanten, die von den Politikmanagern in den Einzelstaaten, der EU-Bürokratie usw. protegiert und gefördert werden. Dass sich Verbraucherinnen gegen einen ökologischen Umbau des Welternährungssystems sperren, hat nur (!) damit zu tun, dass sie die damit verbundenen Kosten und Preiserhöhungen nicht schultern wollen/können. Es ist aus unserer Sicht schlicht falsch, wenn Brand/Wissen in diesem Kontext von den „Interessen vieler Konsumentinnen am bestehenden Ernährungsregime sprechen (in: Luxemburg 1/2018). Das „Interesse“ an dem saisonübergreifenden Bezug von Südfrüchten etwa ist ein von den profitierenden Akteuren künstlich erzeugtes Bedürfnis, und hat mit Lebensstandard im Kern wenig zu tun hat. Im eigentlichen Sinne sind materiell-gesellschaftlich nur die Agrobusiness-Konzerne an der Aufrechterhaltung dieses Regimes interessiert – weil es deren Profite und Macht sichert. Dasselbe gilt für die Tatsache, dass bei der großflächigen Landnahme in den Ländern des „Südens“ in wachsendem Maße Pensionsfonds und Versicherungsunternehmen beteiligt sind, in die auch Gelder nicht vermögender Schichten einfließen, und auch das ist ihnen gewissermaßen aufgezwungen , weil Menschen ihre materielle Absicherung im Alter über den Kapitalmarkt, also privat betreiben sollen. Abgesehen davon, dass es sich auf diese Bevölkerungsgruppen bezogen nach wie vor um eine Minderheit handelt, ist auch hier auslösend und entscheidend die Finanzialisierung der Landwirtschaft und die Durchsetzung spezifischer Logiken des Finanzkapitalismus auf diesem gesellschaftlichen Sektor. Dass mit diesem Vorgang Änderung der Ernährungsgewohnheiten der Menschen verbunden sind, als Beispiel kann die wachsende Verbreitung von Fertigprodukten genannt werden, liegt auf der Hand. Und es ist richtig, genau darin Handlungsmöglichkeiten für die einzelnen Menschen zu erkennen: Aufklären, sich diesem Trend verweigern, Ernährung umstellen, etc. pp. Aber was wir sagen wollen, ist, dass das Hauptaugenmerk linker Politik auf der Aufklärung über die Folgen kapitalistischer Ökonomie und Politik liegen sollte und weniger auf der „Konsumkritik“. Nicht mehr und nicht weniger. Dieser Hinweis klingt banal, ist u.E. aber relevant, weil sich durch Änderungen des Konsumentenhandelns Denkanstöße vermitteln lassen, aber eine wirkliche und tiefgreifende Veränderungsperspektive sich daraus nicht ergeben wird.
Vermutlich wird es diesbezüglich keine grundlegende Differenz mit Brand/Wissen geben. Die Einsicht über die enge Verzahnung zwischen Macht- und Eigentumsverhältnissen einerseits und den heutigen Produktions-, Konsum- und Lebensweisen ist auch für sie zentral. Und sie ist auch die Basis für ihre fundamentale Kritik an den Anhängern eines grünen Kapitalismus, die meinen, die ökologische Krise im Rahmen des bestehenden Wirtschaftssystems („der Markt soll es richten“) und mit Hilfe technologischer Innovationen meistern zu können. Und der Abschnitt ihres Buches, der sich damit beschäftigt, ist unserer Meinung tatsächlich besonders wichtig. Es geht schließlich um den Mainstream der ökologisch-gesellschaftskritischen Debatte, der auch handlungsleitend – bei allen Widersprüchlichkeiten und Roll-Back-Bewegungen `a la Trump – für einen relevanten Teil der Staatenwelt ist.

Wie kommen wir zu einer solidarischen Gesellschaft?

In der von Brand/Wissen eingenommen grundsätzlich kritischen bis ablehnenden Haltung gegenüber dem „grünen Kapitalismus“ wird jedoch aus unsrer Sicht eines der Probleme des Buches sichtbar. Klaus Dörre hat vorsichtig angedeutet, dass wir doch schon froh sein könnten, wenn wir wenigstens den grünen Kapitalismus hätten. Und dass ist der Punkt: Es geht um die Übergangsprozesse hin zu einer solidarischen, nachhaltigen Wirtschafts- und Lebensweise! Sich grundlegend kritisch mit den Vorstellungen eines ökologisch modernisierten Kapitalismus auseinanderzusetzen, die Grenzen dieser Idee, ihre Unzulänglichkeit aufzuzeigen, das ist alles wichtig und richtig. Aber mit Blick auf den Faktor Zeit („es muss sich unverzüglich etwas tun…“) und der gerade von Brand/Wissen thematisierten Verankerung der imperialen Lebensweise in Produktion, Gesellschaft und dem Denken der Menschen (!), ist es fahrlässig bei der Fundamentalkritik stehen zu bleiben. Und es ist die Frage zu stellen, ob Brand/Wissen, wenn sie Einzelelemente eines solchen „systemimmanenten“ Transformationskonzepts recht pauschal als schädlich, weil in die Irre führend, betrachten, über das Ziel hinausschießen. Eine von den Umweltverbänden geforderte CO2-Steuer oder auch andere Formen der Inwertsetzung der Natur, bzw. der Naturzerstörung, als Mittel zu deren Erhalt, werden doch nicht dadurch falsch, weil sie noch nicht den Endpunkt einer Umstellung auf nachhaltiges Wirtschaften markieren.
Ein anderes Beispiel ist die Kritik von Brand/Wissen an der E-Mobilität. Ja, die Bedingungen unter denen benötigte Komponenten hergestellt werden (Batterien) sind teilweise entsetzlich und noch entscheidender, die Ökobilanz insgesamt spricht gegen diesen speziellen Entwicklungspfad. Es ist auch unübersehbar, dass er gegenwärtig favorisiert wird, weil er den in Bedrängnis geratenen Automobilunternehmen als Quelle einer neuen Fahrzeuggeneration und damit ihrer Profite erscheint. Und China setzt auf E-Autos, weil sie hier technologisch führend und nicht durch die Monopolstellung der „Westfirmen“ blockiert sind. Aber was ist dagegen einzuwenden, wenn der öffentliche Nahverkehr in einer Millionenstadt wie Shenzen komplett auf E-Fahrzeuge umgerüstet werden, die Menschen freier atmen können, weniger Lärm ertragen müssen und die private Autonutzung begrenzt wird?
Dass wir, um ein drittes Beispiel anzuführen, den horrenden Plastikmüll loswerden müssen, steht außer Frage. Das Einsammeln dieses giftigen Mülls auf den Ozeanen kann da nur eine erste Nothilfe sein. Müllvermeidung ist oberstes Gebot. Folgt daraus zwingend, dass wir uns gegen aktuelle Forschungsprojekte stellen, in denen versucht wird, einen Plastikersatz aus nachwachsenden Rohstoffen herzustellen (Mais, Raps) und wiederverwendbar zu machen? Die Einwände dagegen liegen auf der Hand, Landwirtschaftsprodukte, die der Ernährung dienen, werden anderweitig verwendet, der Bearbeitungsprozess des Plastikmülls, um ihn wiederverwendungsfähig zu machen, verschlingt erhebliche Energieressourcen. Aber auch hier wieder die Frage, ob mit Blick auf den Faktor Zeit Übergangslösungen nicht unausweichlich sind.
Im Klartext: Wir sind für radikales Umsteuern, aber zugleich für eine geerdete Debatte darüber, auf welchem Wege, mit welchen realistischen Reformschritten, in welchen Zeiträumen wir dahin kommen. Und die sehr kategorische Formulierung von Brand/Wissen, dass der „grüne Kapitalismus“ nur neue sozial-ökologische Kosten verursache, mithin krisenverschärfend sei(S. 162), wir deshalb ganz anders wirtschaften müssen, mag uns aus moralisch-politischen Widersprüchen befreien, hilft in der politischen Praxis nicht wirklich weiter.

Die Große Transformation verlangt den starken Staat

Kritisch sehen wir auch den Teil des Buches, der sich mit den politischen Alternativen einer Neuen Linken im engeren Sinne beschäftigt. Oder, um es positiv zu formulieren: Hier ist noch erheblicher Bedarf an konzeptioneller Ausarbeitung zu konstatieren. Für uns ist dabei die Frage, wie der Prozess des sozialökologischen Umbaus organisiert und gesteuert werden kann, zentral. Und in diesem Kontext geht es substantiell um die künftige Rolle des Staates, der öffentlichen Institutionen und um das Wechselverhältnis zwischen diesen Institutionen und den im „zivilgesellschaftlichen“ Raum agierenden Kräften (u.a. Parteien!). Wir haben indes den Eindruck, dass dieses Thema bei Brand/Wissen noch nicht ausreichend beleuchtet worden ist. Der Bestimmung des Staates als sozialem Herrschaftsverhältnis kann man noch folgen. Auch der folgende Gedanke enthält viel Richtiges:
„Der Staat ist ein höchst asymmetrisches Terrain sozialer Auseinandersetzungen, auf dem sich nur solche gesellschaftlichen Interessen erfolgreich artikulieren und verallgemeinern können, die sich den institutionellen Rigiditäten und kapitalistischen Strukturzwängen zumindest im Grundsatzunterwerfen.“
Aber damit ist die Frage nach den Spielräumen einer Veränderungspolitik innerhalb der gegenwärtigen Ordnung und Möglichkeiten einer prozesshaften Verschiebung dieser Grenzen nicht ausreichend beantwortet. Lassen sich grundlegende Transformationen nur außerhalb dieser Institutionen und gegen sie durch eine, wie immer zu verstehende „Zivilgesellschaft“ erreichen? Welche Rolle sollen die bestehenden Einrichtungen (z.B. die Parlamente) bei dem einzuleitenden Transformationsprozess spielen? Haben sie überhaupt eine Bedeutung? In dieser Hinsicht bleiben die Ausführungen der Autoren blass: Sie reden vom „institutionellen Umbau“ des bestehenden politischen Systems. Aber wohin die Reise genau gehen soll (Zerschlagung des bürgerlich-demokratischen Systems?), bleibt offen.
Zu vermuten ist, dass für Brand/Wissen „Basisdemokratie“ und „Zivilgesellschaft“ Schlüsselbegriffe bei der Suche nach Antworten sein werden. Wie verhält es sich damit? Wir stimmen darin überein, dass der Leitgedanke einer zukunftsfähigen Gesellschaft die solidarische Lebensweise ist. Und wir teilen die Auffassung, dass – nicht zuletzt nach der Erfahrung zentralistischer Planwirtschaft- gesellschaftliche Dezentralisierungsprozesse und die hiermit eröffnete Möglichkeiten basisdemokratischer Mitbestimmung und Entscheidung von großer Bedeutung sind. Dabei geht es um den Gesamtprozess der Organisation des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur wie der Verhältnisse der Menschen untereinander. Wir reden hier über andere, mehr regionale Wirtschaftskreisläufe, über eine Energieversorgung, die das Monopol der fossil ausgerichteten Großunternehmen beendet und die auf dezentralen Komponenten aufbaut usw., und über die Mitwirkungs- und Gestaltungsoptionen der Menschen vor Ort über diese Prozesse.
Einen Einwand gegen die Vorstellung, man könne das gesamte Leben überwiegend kommunal bis regional organisieren, formulieren Brand/Wissen selbst: Gerade die globalen Umweltkrisen verlangen nach internationaler, ja globaler Bearbeitung. Aber dies gilt unseres Erachtens für die Gesamtheit der anzugehenden multiplen Krisen, also Umwelt, Entwicklung, gewaltförmige Konflikte etc. pp. Hier ist die Staatenwelt gefragt und ihre Bereitschaft, die globalen Institutionen, UNO (!) zu stärken und zu ermächtigen, das Nötige zu tun. Auch die Realisierung einer begrenzten De-Globalisierung (um den Unsinn der mehrfach um den Erdball kreisenden Produkte zu beenden) setzt ironischerweise globales Handeln voraus: Die Finanzmarktakteure müssen schließlich weltweit an die Kandare genommen werden, eine nachhaltige Landwirtschaft , die auf bäuerlicher genossenschaftlicher Produktion fußt, wird es erst geben, wenn innergesellschaftliche Bodenreformen und internationale Handelspolitiken (Abbau der Agrarsubventionen der EU …) Hand in Hand gehen (siehe dazu die Vorschläge der Plan B-Initiative der Fraktion DIE LINKE im Bundestag zur Landwirtschaft).
Die Notwendigkeit öffentlich-staatlicher Regulation ergibt sich auch aus den innergesellschaftlichen Vorgängen selbst: Wenn Dezentralisierung nicht auf neue Konkurrenzverhältnisse und ungleichzeitige Entwicklung hinauslaufen soll, bedarf es zentraler Rahmensetzung! Karl Polanyi hat aus seiner Analyse eines marktfixierten und dadurch sozial zerstörerischen Kapitalismus den Schluss gezogen, dass es darauf ankäme, die fiktiven Waren Arbeitskraft, Natur und Geld aus dem Markt herauszunehmen. Wie das aussehen sollte, blieb indes unklar. Daher werden in dieser Hinsicht neue Überlegungen gebraucht: Wie kann dieser Prozess der sozialen und ökologischen Begrenzung und Einhegung der Märkte, die wir ja nicht gänzlich abschaffen wollen (oder?), gestaltet werden und damit die gesellschaftliche Kontrolle über die Wirtschaftsprozesse wieder hergestellt werden? Eins ist dabei sicher: Dafür werden starke öffentliche Institutionen gebraucht werden. Die Rede ist also von gesamtgesellschaftlicher, gesamtstaatlicher Rahmensetzung, von staatlicher Wirtschafts-, Sozial-, und Umweltpolitik usw. Da geht es darum, sozial- und umweltrechtliche Standards zu setzen; da müssen die Möglichkeiten des Staates die öffentlichen und, in welchem Maße auch immer, die nicht-öffentlichen Investitionen zu lenken bzw. zu prägen, völlig neu justiert werden; die Forschung & Entwicklung neuer Technologien, die Abschätzung ihrer gesellschaftlichen Folgen, all dies und vieles mehr, sollte national, europäisch, international gedacht und koordiniert werden. Wir müssen den Aktionsradius der öffentlichen Institutionen entschieden ausweiten. Dabei ist nicht zuletzt die Frage aufgeworfen, welche Strukturvoraussetzungen ein solcher aktiv strukturierender, „unternehmerischer“ Staat braucht. Wir reden hier von Eigentumsverhältnissen und von Eingriffen in bestehende Eigentumsverhältnisse.
Damit sind zugleich elementare Herausforderungen politischer Zukunftsentwürfe benannt: Wie soll künftig die richtige Balance zwischen zentral und dezentral, zwischen transnationalen, gesamtstaatlichen, föderalen und kommunalen Institutionen und der von ihnen zu steuernden Prozessen aussehen? In welchem Verhältnis sollen Markt, Marktregulierung und strategisch planender Staat stehen?

Inhaltliche Konkretisierung linker Zukunftsentwürfe

Wir haben in den letzten beiden Abschnitten deutlich zu machen versucht, dass wir einen erheblichen konzeptionellen Klärungsbedarf für die Linke sehen. Das bezieht sich nicht zuletzt auch auf die Ausarbeitung alternativer Zukunftsentwürfe. Die „solidarische Lebensweise“ gilt es für die verschiedenen gesellschaftlichen Schlüsselsektoren wie Arbeit im digitalen Zeitalter, staatliche Industrie- Forschungs- und Entwicklungspolitik, Wohnen, Mobilität, Energie, Naturbewahrung durch zu deklinieren; einer Anstrengung, der wir uns gemeinsam und möglichst solidarisch unterziehen sollten. Wir werden dabei im Rahmen des Sozialistischen Forums Rheinland bemüht sein, dazu Beiträge zu liefern.
Die Grundidee von Brand/Wissen, die Alternativbewegungen unserer Zeit seien ja auch „Suchbewegungen“, die zu gegebener Zeit schon das Richtige finden werden, ist uns sympathisch. Aber das wird nicht reichen. Die Gefahr liegt auch darin, dass damit die progressiven Parteien, Stiftungen, Medien, Wissenschaftler*innen von der immensen Arbeit entlastet werden, diese Lücken der Linken zu schließen. Mit Brand/Wissen und vielen Anderen teilen wir den Ansatz, dass wir eine Mosaiklinke brauchen, deren innerer Umgang durch ergebnisoffene Debatte, Respekt und Toleranz bestimmt ist. Aber: Meinungsunterschiede müssen auch ausgetragen und Positionen abgesteckt werden können. Pluralität kann nicht völlige Beliebigkeit bedeuten. Es sollte schon Klarheit darüber gewonnen werden, was wir unter De-Growth verstehen, was daran richtig oder falsch ist, wie wir uns De-Globalisierung vorstellen oder was dabei geht und was nicht. Ist das bedingungslose Grundeinkommen wirklich die Lösung der Beschäftigungsprobleme im digitalisierten Kapitalismus usw. usf. Eine progressive Linke, die stärker und wirkungsmächtiger werden will, wird sich schon auf einen gemeinsamen Forderungs- und Handlungskorridor verständigen müssen. Es geht hier nicht um typisch linke Bevormundung und Besserwisserei. Es geht um Antworten, die am ehesten geeignet sind, die Krisen der gegenwärtigen Zivilisation zu lösen und um Vorschläge, wie man politische Mehrheiten in unserer Gesellschaften dafür erreichen kann.


Literatur:


Brand, Ulrich/Markus Wissen: Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus, München 2017


Brand, Ulrich/Markus Wissen: Imperiale Lebensweise! Modernisierung oder Überwindung von Herrschaft? Replik auf Dieter Boris und Eröffnung einer Debatte, in: Sozialismus, Heft 12-2017


Brand, Ulrich/Markus Wissen: „Nichts zu verlieren als ihre Ketten?“ Wie „imperiale Lebensweise“ und Neue Klassenpolitik zusammengehen, in: Luxemburg. Gesellschaftsanalyse und linke Praxis, Heft 1/2018


Brand, Ulrich/Markus Wissen: Unsere schöne imperiale Lebensweise, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 2017


Dörre, Klaus: Imperiale Lebensweise – eine hoffentlich konstruktive Kritik, Teil I, in: Sozialismus, 6-2018, Teil II, in Heft 7/8-2018


Fraktion DIE LINKE. im Bundestag (Hg.): Plan B konkret. Wem gehört das Land? Der Kampf um den Boden, 2015


McMichael, Philipp: Im Bauch der Bestie. Warum das Ernährungssystem uns übel aufstößt, in: Luxemburg, Gesellschaftsanalyse und linke Praxis, Heft 1/2018

Dr. Hans Günter Bell ist Stadtplaner und Sozialwissenschaftler, Behindertenbeauftragter der Stadt Köln und Sprecher der LINKEN. Köln.


Paul Schäfer ist Politikwissenschaftler und Soziologe, war von 2005 bis 2013 Mitglied der Bundestagsfraktion der LINKEN, Redakteur der Zeitschrift Wissenschaft und Frieden.


Beide sind als Mitglieder des Vorstandes des Sozialistischen Forums Rheinland aktiv.

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