Wider die öffentlich geförderte Verdrängung

Wider die öffentlich geförderte Verdrängung

Erschienen in Marxitische Blätter 2-2011

Besprechung von

Christoph Twickel: Gentrifidingsbums oder eine Stadt für Alle
Hamburg: Edition Nautilus, 2010

Andrej Holm: Wir bleiben alle! Gentrifizierung – Städtische Konflikte um Aufwertung und Verdrängung
Münster: Unrast-Verlag, 2010

Die räumliche Verdrängung von Bewohnern/innen mit niedrigen Einkommen durch Bewohner/innen mit höheren Einkommen wird vielerorts diskutiert und führt zu Protesten. Der wissenschaftliche Fachbegriff hierfür ist „Gentrification“ (dt.: Gentrifizierung). Erstmals erwähnt wurde der Begriff 1964 von Ruth Glass in einer Studie über die Veränderungen im Londoner Stadtteil Islington. Der Begriff spielt mit der Rückkehr des niederen Landadels („gentry“) in die Städte.

Zwei aktuelle Bücher von Christoph Twickel und Andrej Holm greifen das Thema auf. Sie richten sich nicht an ein wissenschaftliches Fachpublikum, sondern an „Leute, die sich in eine Polemik über den Wandel ihrer Stadt einmischen möchten“ (CT, 7) beziehungsweise „an alle, die sich grundlegend mit Fragen der Aufwertungs- und Verdrängung im Kontext der Stadtentwicklung auseinandersetzen wollen, die verstehen wollen, warum die Miete schon wieder gestiegen ist oder nach Anregungen für die nächste Aktion der gerade gegründeten Stadtteilgruppe suchen.“ (AH, 5 f.)

Zahlreiche Vorträge der Autoren und Rezensionen sprechen für ein reges Interesse. Und beide Bücher haben diese Aufmerksamkeit verdient.

Wir bleiben alle!

Der in Oldenburg lehrende Stadtsoziologe Andrej Holm gibt auf 76 Seiten einen kompetenten und gut lesbaren Überblick über die Theorie der Gentrifizierung. Allerdings entsprechen die tatsächlichen Gentrifizierungsprozesse – Holm weist darauf hin – nur selten dem in der wissenschaftlichen Debatte entwickelten idealtypischen Verlauf aus Pionierphase, beginnenden Veränderungsprozessen, Zuzug der Gentrifier und weitgehendem Austausch der ursprünglichen Bewohnerschaft. „Die Praxis der Aufwertung hat sehr verschiedene Gesichter“ – so Holm. (AH, 8)

Er sieht die Gentrifizierung vorrangig als Ausdruck veränderter Investitionszyklen und spezifischer Verwertungsbedingungen an. Zugleich betont er aber auch, dass sich die meisten Stadtteilaufwertungen nicht als ausschließlich marktgesteuerter Prozess vollziehen, sondern städtebauliche Erneuerungsprogramme der Städte häufig zu der Verdrängung beitragen.

Ich möchte jedoch vor einem inflationären Gebrauch des Begriffs „Gentrifizierung“ und der Vorstellung warnen, überall würden die Verdrängung gleichermaßen ‚erfolgreich’ verlaufen, wie am Prenzlauer Berg in Berlin oder in St. Georg in Hamburg. Hier ist die ansonsten stringente Darstellung Holms widersprüchlich. Zunächst beklagt er, es sei selbst in den Sanierungsgebieten „trotz öffentlicher Fördermittel, zeitweilig festgelegten Mietobergrenzen und umfangreichen Beratungsangeboten für die Mieter_innen […] nur selten gelungen, einen Austausch der Sozialstruktur zu verhindern.“ (AH, 12) Einige Seiten später stellt er fest: „Nicht jede Aufwertung durchläuft die spektakulären Verwandlungen ehemaliger Armenviertel in exklusive Enklaven des Reichtums. Nicht einmal jedes Szeneviertel fällt zwangsläufig der weiteren Gentrification anheim und viele Aufwertungsprozesse bleiben auf halbem Wege stecken, ohne dass es zu einer vollständigen Verdrängung der früheren Bewohnerschaft kommt.“ (AH, 16) Diese Unklarheit berührt einen der strittigsten Punkte der Debatte: Wie oft beziehungsweise in welchem Umfang die ursprüngliche Bewohnerschaft durch Gentrifizierungsprozesse verdrängt wird. Hier ist Holms gewollt knappe Darstellung leider zu ungenau.

Doch auch eine unvollständige Gentrifizierung führt häufig zu deutlichen Mietpreissteigerungen. Vielerorts wird die Erfahrung gemacht, dass die wohlklingenden Zielstellungen der „behutsamen Stadterneuerung“ ohne nachhaltige Eingriffe in die Mietentwicklung ein uneingelöstes Versprechen bleiben. Holm zitiert zustimmend den us-amerikanischen Stadtforscher Neil Smith: langfristig sei „die Dekommodifizierung1 der Wohnungsversorgung die einzige Verteidigung gegen Gentrification“ (AH, 71) und fordert folgerichtig den Ausstieg aus der profitorientierten Wohnungspolitik.

Gentrifidingsbums

Die auch von Holm angesprochenen Künstler/innen und ihre Rolle als Pioniere der Gentrifizierung stehen im Mittelpunkt der 126 Seiten, auf denen der Hamburger Journalist Christoph Twickel engagiert eine „Stadt für Alle“ propagiert. Sieht man von dem bemühten „name dropping“ mit nur stichwortartigem Anriss der stadtsoziologischen Theorien von Louis Wirth, Georg Simmel, Henri Lefèbvre, Jane Jacobs und David Harvey ab, ist auch dies ein rundum gelungenes Buch.

Die von ihm dargestellte Entwicklung in Hamburg ist exemplarisch für Gentrifizierungsprozesse und die neue Rolle der Kultur als Standortfaktor. Die Linie lässt sich vom „Unternehmen Hamburg“, das Klaus von Dohnanyi (SPD) 1983 vorstellte, bis zum 2002 von der Koalition aus CDU und „Schill-Partei“ propagierten „Leitbild Wachsende Stadt“ ziehen, und vermutlich wird auch Olaf Scholz ihr zukünftig folgen. Für sie alle sind „nicht die real existierende Stadtbevölkerung und ihr Bedarf […] der Maßstab politischen Handelns“ – so Twickels Kritik – „sondern das Ziel, den Stadtraum attraktiv für Investitions- und Wohnortentscheidungen der anvisierten Klientel zu machen“ (CT, 45) – die da wäre: „Familien, Kinder, (junge) kreative Menschen, qualifizierte Fachkräfte und gesellschaftliche Entscheidungsträger“.2 Der us-amerikanische Ökonom Richard Florida und die Unternehmensberatung Roland Berger sind hier die Stichwortgeber einer Metropolenpolitik, die sich mit „kreativen Milieus“ schmücken will, um Hamburg das Image als weltoffene und tolerante Stadt zu geben.3

Das bundesweit diskutierte Beispiel dieser Stadtentwicklungspolitik ist das Gängeviertel. 2003 von der Stadt Hamburg an einen privaten Investor verkauft, folgte auf die Besetzung des Viertels durch Künstler/innen im August 2009 die Rückabwicklung des Vertrags. Twickel erläutert die Hintergründe dieser wundersamen Entscheidung: „Die Besetzer und Supporter des Gängeviertels rekrutierten sich ausgerechnet aus jenem bohemischen Milieu, um das […] Metropolen heute besonders werben müssen, wenn sie wirtschaftlich oben mitspielen wollen. […] Die Räumung des Gängeviertels wäre ein Imageschaden für eine Stadt, die sich in bunten Broschüren gerne als ‚pulsierende Metropole’ für ‚Kulturschaffende aller Couleur’ anpreist.“ (CT, 79)

Auch das 2009 von Twickel mitinitiierte Manifest „Not In Our Name, Marke Hamburg“ ist ein Versuche Kreativer, „öffentlich und prominent von den Verhältnissen zu sprechen, die im Zerrbild der Image City retuschiert sind: Die steigenden Mieten, die Privatisierung öffentlicher Aufgabenbereiche, das Umschalten von einer sozial ausgegleichenden zu einer zielgruppenorientierten, segregierenden Stadtpolitik.“ (CT, 106)

Fazit

Wer neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Gentrifizierung sucht, sollte zu anderen Büchern greifen. Wer aber knappe und gut lesbare Einführungen sucht und wer sich zu widerständigen Praxen gegen Verdrängung anregen lassen will, der ist mit diesen Büchern bestens bedient.

Literatur:

Jörg Blasius / Jens S. Dangschat (Hg.): Gentrification. Die Aufwertung innenstadtnaher Wohnviertel, Frankfurt a.M.: 1990.

Richard Florida: The Rise of the Creative Class, New York: 2002.

Jürgen Friedrichs / Robert Kecskes (Hg.): Gentrification. Theorie und Forschungsergebnisse, Opladen: 1996.

Ruth Glass: London: aspects of change, London: 1964.

Peter Marcuse: Gentrification und die wirtschaftliche Umstrukturierung New Yorks; in: Hans G Helms (Hg.): Die Stadt als Gabentisch. Beobachtungen zwischen Manhattan und Berlin-Marzahn, Leipzig: 1992, S. 80-90.

Neil Smith: The New Urban Frontier. Gentrification and the Revanchist City, London / New York, 1996.

Sharon Zukin: Loft Living: Culture and Capital in Urban Change, New Brunswick: 1989.

Aktuelle Diskussionen zum Thema können auch auf dem Gentrificationblog von Andrej Holm verfolgt werden: http://gentrificationblog.wordpress.com

1 Die Zurückdrängung der Marktabhängigkeit.

2 Leitbild Metropole Hamburg – Wachsende Stadt. Senatsdrucksache vom 11.07.2002; zitiert nach: Twickel, 44.

3 Roland Berger Strategy Consult: Talentstadt Hamburg. Endbericht vom 26.06.2007; zitiert nach: Twickel, 63.

Kommentare sind geschlossen.