Rezension “Die neuen Arbeitnehmer “

Rezension “Die neuen Arbeitnehmer “

Erschienen in Z 73

Rezension

Michael Vester, Christel Teiwes-Kügler, Andrea Lange-Vester: Die neuen Arbeitnehmer

Hamburg: VSA-Verlag, 2007, 256 S., 17,80 Euro

Vorgestellt wird eine am Institut für Politische Wissenschaften der Universität Hannover von 2005 bis 2007 durchgeführte Pilotstudie über die „neuen Arbeitnehmer“ (Projektleitung: Michael Vester). Die Studie wurde vom Vorstand der IG Metall gefördert, um – so Berthold Huber in seinem Vorwort – „mehr über die Haltungen und Einstellungen neuer Arbeitnehmer/-innen zu erfahren“. (13) Denn die IG Metall treibt um, dass es ihr nicht gelingt, in ausreichendem Umfang neue Mitglieder unter den modernen Facharbeitern und Fachangestellten und ebenso unter den Ingenieuren und technischen Experten zu gewinnen.

Untersucht wird der Wandel der „Arbeitnehmermilieus“, konkret: aktuelle Entwicklungen in den Milieus der qualifizierten Facharbeiter, Fachangestellten und technischen Experten in der Automobil-, Maschinenbau- und Informatikbranche. Auch sie verlieren heute „frühere Sicherheiten und Vorrechte“ (16), weil mittlerweile selbst hoch qualifizierte Fach- und Expertenarbeit entwertet wird. Eine Situation, aus der neue Formen des industriellen Konfliktes und der Unzufriedenheit entstehen, denn „auch die Hochqualifizierten [nehmen] vermehrt teil an der Unsicherheit der übrigen Arbeitnehmer und an ihrer Angst um die erreichte gesellschaftliche Stellung“. (19)

Die mit viel Originalton aus den Gruppenwerkstätten und zahlreichen Abbildungen veranschaulichten Forschungsergebnisse belegen, dass sich die sozialen Milieus zwar differenziert, jedoch keineswegs in „individualisierte Einzelmenschen“ (17) aufgelöst haben, sondern die vertikalen Unterschiede in der Gesellschaft ebenso fortbestehen wie durch Lohnarbeit bestimmte Grundorientierungen. Entgegen allen modischen Absagen an den Fortbestand der Klassen und der Klassengesellschaft stellen Vester, Teiwes-Kügler und Lange-Vester fest, „dass die vertikalen Milieu-, Schicht- und Klassenunterschiede, wenn auch in gewandelter Form, fortbestehen“. (18) Damit bestätigen die Untersuchungsergebnisse ein weiteres Mal die These Peter von Oertzens – dem das Buch gewidmet ist –, dass die „neuen sozialen Milieus“ Ausdruck einer Modernisierung der „Arbeitnehmermilieus“ sind. (Vgl. Vester / u.a., 2001; Buckmiller / Kritidis / Vester, 2004)

Hinsichtlich der Ausgangsfrage nach der Akzeptanz der Gewerkschaften stellen die Hannoveraner Forscher/-innen fest:

„Um ihr Mitgliederpotential zu erschließen, müssen sich die Gewerkschaften vermehrt auf einen neuen Arbeitnehmertypus einstellen, auf höher qualifizierte Spezialisten, denen es nicht allein um Einkommen und Arbeitszeiten, sondern auch um die Autoritäts- und Anerkennungsverhältnisse im Betrieb geht. Sie stehen damit in der Tradition der spezialisierten Facharbeiter und Fachhandwerker, denen es traditionell auch um ihre Berufsqualifikation und Berufsehre ging. Die Gewerkschaften können immer weniger allein von den ökonomischen Interessen an höheren Löhnen, geringeren Arbeitszeiten und sozialer Sicherheit ausgehen, die für ‚entfremdete Routinearbeiter’ der taylorisierten Massenproduktion im Vordergrund stehen.“ (23, Herv. im Original)

Bei aller Hoffnung auf eine solidarisches Handeln der untersuchten Beschäftigtengruppen als Mitglieder der Gewerkschaft, ist doch zu beachten, dass es gerade die (noch) relativ privilegierten Arbeiter und Angestellten sind, die den „Gefahren der internen Konkurrenz und forcierten Selbstausbeutung“ (Schumann, 2003: 83) unterliegen. Ob es tatsächlich gelingt, aus der Heterogenität der sozialen Lagen und Anschauungen der arbeitenden Klassen eine schlagkräftige Gewerkschaftsbewegung zu bilden, hängt nicht in erster Linie von der Gemeinsamkeit einiger sozialstatistischer Merkmale oder abstrakten soziologischen Kategorien ab. Sie entsteht vielmehr „durch soziale Praxis, d.h. durch Kämpfe zwischen Interessenparteien und durch die von ihnen geschaffenen Konfliktlinien und institutionellen Ordnungen“. (96 f., Fußnote 1)

Wie die qualifizierten Facharbeiter, Fachangestellten und technischen Experten für eine solche gemeinsame soziale Praxis gewonnen werden können, dafür liefert die hier vorgestellte Untersuchung wichtige Ansatzpunkte.

Literatur:

Buckmiller, Michael / Kritidis, Gregor / Vester, Michael (Hg.): Peter von Oertzen: Demokratie und Sozialismus zwischen Politik und Wissenschaft, Hannover: Offizin Verlag, 2004

Kern, Horst / Schumann, Michael: Das Ende der Arbeitsteilung? Rationalisierung in der industriellen Produktion, München: Verlag C.H. Beck, 1986 (3. Aufl.)

Lange-Vester, Andrea / Bremer, Helmut (Hg.): Soziale Milieus und Wandel der Sozialstruktur. Die gesellschaftlichen Herausforderungen und die Strategien der sozialen Gruppen, Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften, 2006

Schumann, Michael: Metamorphosen von Industriearbeit und Arbeiterbewusstsein, Hamburg: VSA-Verlag, 2003

Vester, Michael / u.a.: Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Zwischen Integration und Ausgrenzung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, 2001

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