Soziale Bewegungen in Köln
Erschienen in spw 139
Für einige Wochen weckten die „Montagsdemonstrationen“ die Hoffnung auf einen Aufschwung der sozialen Protestbewegung und ein Aufhalten der fortschreitenden Demontage des Sozialstaates. Doch der Impuls kam im Westen nur schwach an, die TeilnehmerInnenzahlen an den Demonstrationen in den alten Bundesländern erreichten selten einmal den vierstelligen Bereich. Nach anfänglichen kleineren Zugeständnissen kann die Bundesregierung ihr „Hartz IV“-Gesetz letztlich ohne substanzielle Änderungen durchsetzen.
Doch nicht um diese aktuellen Proteste soll es im folgenden gehen, sondern um Versuche, eine tragfähige und langfristig aktive Struktur sozialen Protestes in Köln aufzubauen. Natürlich bestehen in einer Stadt wie Köln vielfältige solcher Ansätze und sind unterschiedliche Akteure auf verschiedensten ‚Baustellen’ tätig. Hier kann nur ein kleiner Ausschnitt vorgestellt werden: Die Arbeitsgruppe „Umverteilen“ bzw. der Attac-Arbeitskreis „Umfairteilen!“ und das BündnisSozialeBewegung Köln.
Von der AG „Umverteilen“ …
Bereits im Jahr 1999 ist die Arbeitsgruppe „Umverteilen!“ gegründet worden; das erste gemeinsame Vorhaben ist eine Tagung gewesen, auf der im Januar 2000 etwa 150 Menschen über den Niedriglohnsektor, Konzepte für eine soziale Grundsicherung, die Vermögens- und Einkommensverteilung und Repressionen gegen Arme diskutiert haben.
Das Thema „Umverteilen“ ist von uns nicht zufällig gewählt worden. Vielmehr ist es unsere Überzeugung, dass die Verteilungsfrage im Zentrum der gesellschaftlichen Zukunftsfragen steht. Die Um- und Neuverteilung von Erwerbsarbeit, aber auch von unbezahlter Haus- und Familienarbeit, von Einkommen und Vermögen erscheint uns entscheidend, wenn es darum geht, die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich, in Erwerbstätige und Erwerbslose zu überwinden, den Sozialstaat zukunftsfähig und die Gleichstellung der Geschlechter möglich zu machen. Sie ist ebenso alternativlos für die Wende zu einer ökologischen Nachhaltigkeit, die den wirtschaftlich Schwächeren Garantien gibt, dass der Perspektivenwechsel von Mehr Haben zu Besser Leben für sie nicht in sozialer Deklassierung mündet.
Zusammengefunden hatte sich in der Arbeitsgruppe ein bunter Kreis von SozialdemokratInnen, (Ex)Grünen, von Aktiven aus PDS und DKP sowie von GewerkschafterInnen, die über alle Partei- und sonstigen Grenzen hinweg darin übereinstimmten: an eigenständiger politischer Initiative von unten führt kein Weg mehr vorbei. Nachdem wir die Erfahrung gemacht hatten, dass es auf der Linken über organisatorische Grenzen hinweg mehr Gemeinsamkeiten gibt als mit den jeweils ‚eigenen’ Neoliberalen haben wir gemeinsame politische Selbsthilfe von links-unten für unumgänglich gehalten. „Raus aus der Zuschauerdemokratie!“ – war der gemeinsame Impuls.
Neoliberale Veränderung, Umverteilung von unten nach oben findet keineswegs nur in der ‚großen’ Politik statt. Daher haben wir uns aktiv an den lokalen Protesten gegen die Abschaffung des „Köln-Passes“ beteiligt, der ärmeren Haushalten einige Vergünstigungen bei der Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen und Dienstleistungen gewährte. Es folgte eine Veranstaltungsreihe, auf der wir eine kritische Halbzeit-Bilanz der rot-grünen Bundesregierung zogen. Ab Februar 2001 setzten wir unsere Bemühungen, dem Thema „Verteilungsgerechtigkeit“ auch in Köln mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen mit dem Projekt „Reichtum umfairteilen!“ fort.
Kann in dieser Art, Politik diesseits von und quer zu Parteien zu machen, eine Chance liegen, das verbreitete, aber politisch sprachlose Unbehagen an der real existierenden Gesellschaftsentwicklung auf die Bühne öffentlicher Auseinandersetzung zu bringen? Wir wissen es nicht. Allzu oft ist linke Euphorie im Katzenjammer geendet. Eine Tagung in Köln, und sei sie auch noch so gut besucht, macht noch längst keine Bewegung, und ein noch so engagiert durchgeführter Projekt einer so kleinen Gruppe, wie die AG „Umverteilen“ sie nun einmal war, bewegt letztlich nicht allzu viel.
… zum Attac Arbeitskreis „Umfairteilen!“
Parallel zu unserer Arbeit als AG „Umverteilen“ hat sich auch in Köln die pluralistische globalisierungskritische Bewegung Attac gegründet und an Gewicht gewonnen. Da einige unserer Mitglieder zu den Gründern der Kölner Attac-Gruppe zählten und wir schnell feststellten, dass sich sowohl die inhaltlich-programmatischen Konzeptionen als auch die Praxis sehr ähnelten, haben wir uns im Herbst 2001 als Arbeitskreis „Umfairteilen!“ der Kölner Attac-Gruppe angeschlossen.
Seitdem hat sich bei uns auch personell einiges verändert: Leider ist der Kontakt zu manchen gewerkschaftlich engagierten KollegInnen abgerissen, dafür haben wir neue MitstreiterInnen, die über Attac den Weg zu uns gefunden haben, gewonnen.
In unserem ‚neuen’ Arbeitskreis stand im Jahr 2002 das Projekt „Soziale Sicherungssysteme durch Umverteilung sichern!“ im Mittelpunkt. Umverteilung zwischen Nord und Süd durchzusetzen, und dies ohne die soziale Schieflage ‚bei uns’ zu verstärken – das war, kurz zusammengefasst, der zentrale Ansatz des folgenden Projektes „Global umfairteilen!“. Ab Herbst 2003 haben wir darauf hingearbeitet, das BündnisSozialeBewegung NRW auch in Köln zu verankern und „einer starken Bewegung für mehr Gerechtigkeit“ zu mehr Schlagkraft zu verhelfen.
Attac-Kampagne „Gesundheit ist keine Ware“
Zugegeben, etwas sperrig ist er schon, der Titel unseres Projektes: „Soziale Sicherungssysteme durch Umverteilung sichern!“. Aber die Materie ist auch nicht eben einfach: Der Demontage zunächst des Renten- und dann des Gesundheitssystems eine alternative, solidarische und sozialstaatlich orientierte Alternativen entgegenstellen zu wollen, erfordert viel Sachverstand und Engagement. Und Attac ist es mit seiner Kampagne „Gesundheit ist keine Ware“ gelungen, beides in die Waagschale zu werfen.
In Köln hatte es sich der Arbeitskreis „Umfairteilen!“ zur Aufgabe gemacht, mit dem o.g. Projekt einen Beitrag zu dieser bundesweiten Attac-Kampagne zu leisten.
Thematisch war dieses Projekt in zwei Phasen geteilt: Am Anfang stand unsere Einschätzung, dass der rot-grüne „Umbau des Sozialstaates“ eigentlich ein Systemwechsel vom Sozialstaat zum Wettbewerbsstaat ist. Dieser Systemwechsel stützt sich auf die Inszenierung des Sachzwangs: Bei der Rente war es angeblich die demografische Entwicklung, die Risikoprivatisierung und Finanzmarktrente als „alternativlos“ erscheinen lassen sollte. Im Gesundheitswesen ist das die „Kostenexplosion“. Die vorherrschende Botschaft ist in etwa: “Die Ausgaben steigen und steigen, die Beiträge steigen, irgendwann kann das keiner mehr bezahlen. Der Systemkollaps droht, wenn nicht entschlossen auf die Kostenbremse getreten wird.“
Nachzuweisen, dass dies nicht den Tatsachen entspricht oder zumindest eine sehr einseitige Interpretation der Fakten ist, und damit dem Versuch, mit Desinformationen Politik zu machen, entgegenzutreten, vor diese Herausforderung sahen wir uns gestellt.
Nach dieser Auseinandersetzung mit der „Ausgabenseite“ folgte die Frage nach den „Einnahmen“: Ist Deutschland wirklich so arm, dass es sich seinen Sozialstaat nicht mehr leisten kann?
Offenbar nicht, denn das Bruttoinlandsprodukt als Maß für den gesellschaftlichen Reichtum steigt Jahr für Jahr. Dass dies ein äußerst ungleich verteilter Anstieg des Reichtums ist, zeigt allein schon ein Blick auf den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Dort ist die erstaunliche Zahl von 27.230 Einkommensmillionären (Bruttoeinkommen im Jahr 1995) nachzulesen. Und auch die ‚gegnerische’ Presse – vom Manager Magazin, über Focus Money bis hin zur Frankfurter Allgemeine Zeitung – kam nicht umhin, einen kleinen Einblick darin zu geben, „was Deutschlands Bosse verdienen“: Im Jahr 2000 stand der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Rolf Breuer, mit geschätzten Bezügen in Höhe von 11,19 Mio. € an der Spitze.
Solche Zahlen sind den meisten Menschen nicht bewusst. Gelänge es uns, das Ausmaß des Reichtums in der öffentlichen Wahrnehmung zu verankern, wären wir in der Debatte um die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme vermutlich einen wichtigen Schritt voran gekommen.
Unser bescheidener Beitrag zu dieser „ökonomischen Alphabetisierung“ der Bevölkerung bestand zwischen Dezember 2001 und August 2002 aus insgesamt neun Treffen, der Teilnahme an einer bundesweiten Tagung in Heidelberg und drei Straßenaktionen, auf denen wir versucht haben, die komplexen Zusammenhänge des Themas einer möglichst großen Zahl von Menschen ein wenig durchschaubarer zu machen und für unsere Alternativen zu werben.
BündnisSozialeBewegung NRW
Aus der „Zuschauerdemokratie“ heraustreten und Verteilung und Verteilungsgerechtigkeit zum Thema machen, wollte nicht nur der Attac Arbeitskreis „Umfairteilen!“, sondern auch die Gewerkschaft ver.di. Im Mai 2003 beschloss deren nordrhein-westfälische Landesbezirkskonferenz die „Castroper Erklärung“. Damit war der Startschuss für das BündnisSozialeBewegung NRW gegeben.
In dieser Erklärung bemängelt ver.di, dass das Solidarprinzip zunehmend vom Konkurrenzprinzip verdrängt werde. Die Billigung der „Agenda 2010“ durch erdrückende Mehrheiten in den Regierungsparteien und die teils noch radikaler in die gleiche Richtung zielenden Konzepte der Opposition hätten deutlich gemacht, dass neue Perspektiven für Sozialstaat und solidarische Gesellschaft nur noch im Wege einer starken Sozialen Bewegung aus der Gesellschaft selbst heraus eröffnet werden könnten. Angesichts dessen, dass der „harte Kern“ der herrschenden Reformpolitik in Umverteilung von unten nach oben bestehe, komme dem Thema Verteilung und Verteilungsgerechtigkeit eine übergreifende Bedeutung zu. Insbesondere werde es darum gehen, dies für die Sozialversicherungen zu konkretisieren.
Ein Bündnis (nicht nur) für NRW
Mittlerweile haben sich eine ganze Reihe von Organisationen und Persönlichkeiten diesem Bündnis angeschlossen. Sie haben zwar von Anfang an erkannt, dass es nicht ausreicht, sich allein auf Landesebene zusammenzuschließen, wollen jedoch nicht nur Abwarten und Zuschauen, sondern durch praktisches Engagement im eigenen Wirkungsfeld ein Beispiel geben. Und tatsächlich wäre schon Erhebliches gewonnen, wenn das Land NRW sein Gewicht in der Bundespolitik für eine andere Politik einsetzen würde.
Die Mitglieder des Bündnisses glauben nicht, kurzfristig den Druck aufbauen zu können, der nötig ist, um die Politik zu einem Richtungswechsel zu drängen. Deshalb setzen sie auf einen langen Atem. Maßstab des Erfolgs kann demnach vorerst nicht ein Richtungswechsel der Gesetzgebung sein, sondern die schrittweise Formierung und das Erstarken einer Sozialen Bewegung.
Und schließlich betonen sie, dass sich gute Ideen nur verbreiten können, wenn sie „Beine kriegen“: Eine Soziale Bewegung lebt vom freiwilligen Engagement Vieler. Deshalb sieht es das Bündnis als eine vorrangige Aufgabe an, die Bildung oder Weiterentwicklung lokaler Bündnisse anzuregen, zu ermutigen und zu unterstützen.
BündnisSozialeBewegung Köln
Dieser Strategie folgend wurde im Dezember 2003 mit Hilfe der Koordination des NRW-Bündnisses zu einem ersten Vorbereitungstreffen zur Gründung eines entsprechenden Kölner Bündnisses eingeladen. Dann gründeten Ende April 2004 u.a. Attac, die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung, das Kölner Arbeitslosenzentrum, der Sozialverband Deutschland und die Gewerkschaft ver.di das BündnisSozialeBewegung Köln. Unmittelbar danach haben sich auch der AStA der Uni Köln, der Kölner Appell gegen Rassismus und das Sozialistische Forum Rheinland dem Bündnis angeschlossen. Damit umfasst das BündnisSozialeBewegung Köln aktuell elf Organisationen unterschiedlicher Größe und politischer Tradition; in NRW ist das BündnisSozialeBewegung mittlerweile in 22 Städten und Regionen vertreten.
Die „Castroper Erklärung“ dient auch dem Kölner Bündnis als Grundlage. Wir sind überzeugt: Eine andere, sozial gerechte Politik ist nicht nur möglich, sondern auch notwendig, damit unsere Gesellschaft zukunftsfähig und damit auch geschlechtergerecht wird. Dies zu verdeutlichen, diente auch unsere erste gemeinsame Aktion.
Erste gemeinsame Aktion: „Sozialraub Stopp!“
Ende Juli 2004 hat das Kölner Bündnis Industrie- und Handelskammer und Agentur für Arbeit mit einem symbolischen Band ihrer Opfer verbunden. Während der Aktion haben die Arbeitslosen entlang einer Kreidelinie tatsächlich ‚auf der Straße’ gelegen und wurden dort ‚mit Füßen getreten’ – es geschah ihnen also bildlich das, wogegen sich auch der Protest richtete: Die erniedrigende Behandlung der Arbeitslosen, denen zuerst die Unternehmen die Arbeitsplätze vorenthalten und denen dann von der Politik die Arbeitslosenunterstützung gekürzt wird.
Gesprächsfaden zwischen Gewerkschaften und soziale Bewegungen
Insgesamt kann nach den Erfahrungen der letzten Jahre festgehalten werden, dass der Schulterschluss zwischen Gewerkschaften und soziale Bewegungen noch auf sich warten lässt, aber immerhin nähern sie sich einander an. Eine Vorreiterrolle hat hierbei zumindest in NRW die Gewerkschaft ver.di, während sich andere Gewerkschaften mit einer offensiven Mobilisierung gegen den rot-grünen Sozialabbau in Land und Bund schwer tun. Ausdruck hiervon ist u.a., dass nach wie vor ver.di die einzige Einzelgewerkschaft ist, die dem BündnisSozialeBewegung Köln beigetreten ist; auch der Kölner DGB und selbst die DGB-Jugend halten (noch) Distanz.
Doch insgesamt ist eine positive Entwicklung nicht zu übersehen. Während im Vorfeld der Großdemonstrationen im April 2004 die Beziehungen zwischen dem Kölner DGB und Organisationen wie Attac noch durch wechselseitige Fremdheit geprägt waren, ist mittlerweile immerhin ein Gesprächsfaden entstanden. Dies zeigt sich bereits bei den Kölner Montagsdemonstrationen, die von Arbeitslosen, dem Kölner Arbeitslosenzentrum und Attac organisiert worden waren. Hier sprach der Kölner DGB-Vorsitzende ebenso wie ein Mitglied des örtlichen ver.di-Kreisvorstandes, und beide betonten, ihre politisch Unterstützung für die Demonstrationen.
Die Frage ist jetzt, ob es gelingt, diesen Prozess weiterzuentwickeln. Die bevorstehenden Proteste gegen Sozialkahlschlag und für Umverteilung („Herbstkampagne 04“) sind eine günstige Gelegenheit, hieran gemeinsam zu arbeiten. In Köln jedenfalls, ziehen die im BündnisSozialeBewegung Köln zusammengeschlossenen Organisationen an einem Strang und haben bereits konkrete Aktionen und Veranstaltungen verabredet, um weiterhin für soziale Gerechtigkeit und einen zukunftsfähigen Sozialstaat zu streiten.