Linke Programmatik in der Diskussion

Linke Programmatik in der Diskussion

Erschienen iin SoFoR Info 32

„Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme.“

– dies schrieb Karl Marx 1875 in dem Begleitbrief zu seiner Kritik am „Gothaer Programms“ der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands. Trotzdem unterziehen sich gerade linke Parteien von Zeit zu Zeit den Mühen einer Programmdiskussion. Teils, weil sie alten programmatischen Ballast abwerfen wollen, teils, weil reale gesellschaftliche oder politische Veränderungen eine Neubestimmung erfordern. So ist es nicht ganz zufällig, dass sowohl DKP, SPD als auch Linkspartei.PDS und WASG aktuell neue Parteiprogramm erarbeiten bzw. erarbeitet haben.

„Überwindung des Kapitalismus durch eine sozialistische Gesellschaft“ (DKP)

Als erste hat die DKP ihre Programmdiskussion zum Abschluss gebracht. Auf ihrem Parteitag am 08./09. April 2006 haben die Delegierten ein neues Parteiprogramm beschlossen. Darin bekräftigt die DKP die Notwendigkeit des revolutionären Bruchs mit den kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnissen und ihr Streben nach der Überwindung des Kapitalismus durch eine sozialistische Gesellschaft. „Für dieses Ziel die Arbeiterklasse und die Mehrheit der anderen Werktätigen zu gewinnen – darum geht es der DKP.“

[Mehr Infos unter: http://www.dkp.de]

Abschied vom „Demokratischen Sozialismus“ (SPD)

Bei der SPD dürfte das neue Programm voraussichtlich weniger radikal ausfallen. In ihrer im Jahr 2000 begonnen Diskussion geht es wohl eher darum, ihr Grundsatzprogramm von Sätzen wie diesen zu säubern:

Es ist eine historische Grunderfahrung, daß Reparaturen am Kapitalismus nicht genügen. Eine neue Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft ist nötig. […] Die neue und bessere Ordnung, die der Demokratische Sozialismus erstrebt, ist eine von Klassenschranken befreite Gesellschaft.“

Demokratische Kontrolle der wirtschaftlichen Macht des Kapitals verlangt einen handlungsfähigen Staat, starke Gewerkschaften und Mitbestimmung. […] Ökologisch und sozial verantwortenbares Wirtschaften läßt sich nur erreichen, wo der Vorrang demokratischer Entscheidungen vor Gewinninteressen und Wirtschaftsmacht durchgesetzt wird. […] Wo mit anderen Mitteln eine sozial verantwortbare Ordnung der wirtschaftlichen Machtverhältnisse und die Durchsetzung der qualitativen Kriterien wirtschaftlicher Entwicklung nicht gewährleistet ist, ist Gemeineigentum zweckmäßig und notwendig.“ (beide Zitate aus dem Grundsatzprogramm der SPD, beschlossen in Berlin am 20.12.1989)

[www.programmdebatte.spd.de]

„Programmatische Eckpunkte“ (Linkspartei.PDS / WASG)

Spannender ist hingegen die Programmdiskussion, die Linkspartei.PDS und WASG mit Blick auf die bevorstehende Gründung einer Neuen Linkspartei führen.

Im Februar 2006 wurden von einer gemeinsamen Programmkommission beider Parteien „Programmatische Eckpunkte auf dem Weg zu einer neuen Linkspartei in Deutschland“ vorgelegt. Sie sollen die Verständigung über das Programm der neuen Partei fördern und einen Anstoß für eine programmatische Debatte in der Linkspartei.PDS, in der WASG und für alle am Parteibildungsprozess interessierten Linken geben.

Als erstes fällt auf, dass der Begriff „Sozialismus“ in diesem Eckpunkte-papier mit der Einschränkung verwendet wird, dass nur „viele von uns“ die angestrebte „friedliche, gerechte und demokratische Gesellschaft, in der jede und jeder selbstbestimmt und in Würde leben kann“ als „demokratischer Sozialismus“ bezeichnen möchten. Doch immerhin scheint Einigkeit darüber zu bestehen, dass „Entwicklungswege, die über die gegenwärtige Gesellschaft hinausweisen“ beschritten werden sollen und dass es hierzu einer „grundlegenden Veränderung der Eigentums- und Machtverhältnisse“ bedarf.

Im Mittelpunkt des Papiers stehen allerdings Forderungen mittlerer Reichweite, die als „Einstieg“ in einen alternativen Entwicklungsweg dienen und die Vorherrschaft des Neoliberalismus überwinden sollen. Als zentrale Projekte werden genannt:

1. Öffentlich geförderte Beschäf-tigungssektoren zwischen Privatwirtschaft und Staat, die zusammen mit dem öffentlichen Sektor vor allem die soziale Infrastruktur des Gemeinwesens sichern;

2. ein groß angelegtes öffentliches Zukunftsinvestitionsprogramm;

3. eine gerechte Steuerpolitik;

4. die Einführung einer individuellen bedarfsorientierten sozialen Grundsicherung

5. Bildung und lebenswerte Rahmenbedingungen junger Menschen in Ostdeutschland und in allen strukturschwachen Regionen, und Vereinbarkeit von Familie und Beruf dort.

Zur Durchsetzung dieser Projekte sollen gesellschaftlicher Protest, programmatische Arbeit und die Beteiligung in Regierungen zusammengeführt werden. Maßstäbe für eine Regierungsbeteiligung sollen sein: „die Verbesserung der Lage von Benachteiligten, die Durchsetzung wichtiger Reformvorhaben der Linken, der Stopp der neoliberalen Offensive, die Veränderung der Kräfteverhältnisse und die Einleitung eines Politikwechsels“.

Bemerkenswert ist auch die Liste der ausdrücklich festgehaltenen Streitpunkte. Hier finden sich wenig überraschende Punkte, z.B. ob eher einem bedingungslosen individuellen Grundeinkommen als Rechtsanspruch für alle BürgerInnen der Vorzug zu geben ist oder einer bedarfsorientierten Grundsicherung für Menschen in sozialer Not, neben solchen, deren Benennung als Streitpunkte ich in Linkspartei.PDS und WASG nicht erwartet hätte, z.B. ob eine Ausweitung von öffentlichen Investitionen, Kreditfinanzierungen und von Beschäftigung im öffentlichen Dienst vertretbar ist.

Aufmerksamkeit verdient sicherlich auch der Streit darüber, „unter welchen Bedingungen […] internationale Militäreinsätze im Auftrag und unter Kontrolle der UN in regionalen Kriegs- und Bürgerkriegskonstellationen zu einer Rückkehr der friedlichen Entwicklung beitragen [können und sollen]“. Hier meinen manche den Versuch zu erkennen, die hart umkämpfte Absage der Linkspartei.PDS an eben diese Militäreinsätze zu kippen. (s.u.)

„Der Sozialismus ist mehr als eine unverbindliche Vision“ (Marxistisches Forum)

Es verwundert also nicht, dass diese „Eckpunkte“ eine kontroverse Debatte auslösten. So mahnen das Marxistische Forum, der Geraer Dialog und die Kommunistischen Plattform der Linkspartei in einer gemeinsamen Antwort an, „dass bestimmte Ergebnisse der bisherigen programmatischen Arbeit der PDS nicht verloren gehen dürfen“ und formulieren im wesentlichen fünf Einwände:

2. Das Papier sei in Bezug auf die künftige Entwicklung des Kapitalismus „unentschieden“. Es werde der Eindruck erweckt, „als ob es möglich sei, die schlechten Seiten des Kapitalismus wegzuschneiden und allein seine Früchte zu genießen“.

3. Unverständlich sei, dass die Forderung nach Erwerbsarbeit für alle Arbeitssuchenden umstritten ist.

4. Erneut werde darüber gestritten, ob Gewaltanwendung als Mittel der internationalen Politik strikt abzulehnen sei oder ob sie als „ultima ratio“ bejaht werden soll. Gewaltanwendung als „ultima ratio“ wäre allerdings nichts anderes als die Preisgabe der bisherigen friedenspolitischen Positionen der Linkspartei.PDS.

5. Die Formulierungen ließen „keinen Zweifel zu, dass die Verfasser der ‚Eckpunkte’ eine Regierungsbeteiligung im Bund anstreben“.

[http://sozialisten.de/sozialisten/parteibildung/diskussion_programmatik/index.htm]

„Für eine antikapitalistische Linke“

Nicht direkt auf das Eckpunktepapier bezieht sich der Aufruf „Für eine antikapitalistische Linke“, zu dessen ErstunterzeichnerInnen u.a. Nele Hirsch, Sahra Wagenknecht und Tobias Pflüger gehören; aus Köln haben den Aufruf mittlerweile u.a. Werner Ley, Frank Braun und Helmut Wendler unterzeichnet.

In einer Situation, in der sich zwar „aktive Gegenwehr zu regen beginnt, Ansätze für eine breite Protestbewegung aber noch kaum zu erkennen sind“ fragen auch sie in erster Linie danach, was eine Linke unter den gegebenen Bedingungen „in einem überschaubaren Zeitraum“ leisten kann.

Vielleicht ist dieser Zeithorizont der Grund dafür, dass man nicht zur Gründung einer „sozialistischen“, sondern eben ‚nur’ zur Gründung einer „antikapitalistischen Linken“ aufruft und sich programmatisch auf einen „konsequenten Antineoliberalismus“ beschränkt. Im Widerspruch zu dieser Beschränkung steht dann jedoch die im selben Aufruf geäußerte Einschätzung, „Identität und Identifizierung einer gesellschaftlichen Linken [sind] nur über […] die Orientierung auf eine sozialistische Perspektive möglich“. Just diese Perspektive fehlt jedoch in dem Aufruf.

Der Aufruf listet „antineoliberale Forderungen“ auf, von denen die InitiatorInnen glauben, sie seien „im Heute verankert“ und ermöglichten „zugleich die Debatte über das Morgen“:

* Eine 5-%ige „Millionärssteuer“ auf das Geldvermögen der „superreichen Oberschicht“,

* ein Grundeinkommen von monatlich 1.200 Euro für 4,4 Millionen ALG II-EmpfängerInnen,

* konfiskatorische Erbschaftssteuer für alle Nettogeldvermögen über 1 Million Euro,

* eine nicht näher erläuterte Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich,

* Abschaffung der „Hartz IV“-Gesetze,

und viele weiterer Forderungen unter den Stichworten: Jobvernichtung bestrafen statt fördern, Schluss mit der Zweiklassen-Medizin, Finanzhaie brauchen Kontrolle und Regulierung, Frieden und Abrüstung statt Staatsterrorismus, Ausbau von Grund- und Freiheitsrechten statt Repression und Diskriminierung.

Während – wie zu erwarten – einer Regierungsbeteiligung im Bund implizit eine Absage erteilt wird (“Nicht Regierungsfähigkeit im Bund an der Seite der SPD bringt uns ihrer Realisierung näher, sondern wachsende Mobilisierungsfähigkeit sowie der Druck einer von uns mitgeprägten öffentlichen Debatte, die sich nicht mehr nur auf antineoliberale Forderungen beschränkt.“), ist der Aufruf gegenüber einer Regierungsbeteiligung auf Landesebene erstaunlich offen. Hier sei „Umverteilung von oben nach unten in großem Stil kaum erreichbar“, und dennoch – oder gerade deswegen? – werden eher pragmatisch, sozialdemokratische „Minimalbedingungen“ für eine Regierungsbeteiligung auf dieser Ebene aufgestellt:

* ein sofortiger Stopp weiterer Privati-sierungspolitik,

* ein Erhalt der vorhandenen [öffentlichen] Stellen bei gegebenem Lohnniveau,

* keine Maßnahmen, die die soziale Ausgrenzung im Bildungsbereich weiter verstärken,

* keine Kürzungen bei den Ärmeren,

* eine stärkere Würdigung zivilen und friedenspolitischen Engagements an Stelle der Zurschaustellung von Militär.

[www.antikapitalistische-linke.de]

Ein modernes keynesianische Programm (Oskar Lafontaine)

Diese Bedingungen entsprechen wohlmöglich auch der Intention Oskar Lafontaines, der durch die Lande zieht und gegen Privatisierung, Arbeitslosigkeit und den Abbau sozialer Leistungen wettert. Wie zuletzt in einem Gespräch mit Redakteuren der „Sozialismus“ (Heft 4/2006) wirbt er dabei immer wieder, für ein modernes keynesianische Programm, von dem er sich mehr Wachstum und Beschäftigung verspricht.

Sein Credo: „Es geht um die Rückgewinnung des öffentlichen Raums, von gesellschaftlicher Gestaltungskraft und Regulierung.“ Deshalb sei eine Demokratisierung der Gesellschaft, der Aufbau von Beschäftigung im öffentlichen Dienst und die Erneuerung des Sozialstaats erforderlich.

“Ein verwerfliches Programm“

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass manche in der Linkspartei.PDS die Gelegenheit der Bildung einer Neuen Linkspartei nutzen wollen, innerparteiliche Kompromisse aufzukündigen und den Versuch unternehmen, mit Hilfe der WASG die neue Partei programmatisch rechts von der Linkspartei.PDS zu positionieren. Für einen solchen Versuch sollten sich die Mitglieder der WASG nicht missbrauchen lassen.

Andererseits weist das PDS-Programm von 2003 eine ganze Reihe von Schwächen auf – zu nennen sind z.B. die Unklarheiten zur Eigentumsfrage, die zwar als „eine Grundfrage“ sozialistischer Bewegung bezeichnet wird, jedoch in einer völlig unzureichenden Art und Weise beantwortet wird – und bedarf sicherlich einer Weiterentwicklung und Präzisierung.

Zudem muss tatsächlich grundsätzlich „über die Funktion einer sozialistischen (oder jedenfalls linken) Partei in einer Situation des triumphierenden Kapitalismus nachgedacht werden“ – wie Marxistisches Forum, Geraer Dialog und Kommunistische Plattform dies einfordern. Zweifelhaft ist jedoch, ob die Diskussion über diese und andere Grundsatzfragen bis zur Gründung der Neuen Linkspartei im Sommer 2007 soweit vorangekommen sein wird, dass die Ergebnisse in einem Parteiprogramm festgeschrieben werden können.

In dem eingangs zitierten Brief schlug Marx vor, beim Zusammenschluss zweier Arbeiterparteien „Prinzipienprogramme bis zur Zeit aufzuschieben, wo dergleichen durch längere gemeinsame Tätigkeit vorbereitet war“ und sich zunächst auf eine „Übereinkunft für Aktionen gegen den gemeinsamen Feind“ zu beschränken. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei und der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein sind seinem Rat damals bekanntlich nicht gefolgt, sondern haben in Gothaer anlässlich ihres Zusammenschlusses ein Parteiprogramm beschlossen. Marx Urteil über dieses Programm: Es sei ein „durchaus verwerfliches und die Partei demoralisierendes Programm“.

Die Diskussionen der nächsten Monate werden (hoffentlich) dazu beitragen, dass das Urteil über das erste Parteiprogramm der Neuen Linkspartei günstiger ausfallen wird. Die Chancen hierzu wären jedoch größer, nähme man sich den Marxschen Rat zu Herzen und ließe sich mit der Verabschiedung des Programms der Neuen Linkspartei die notwendige Zeit.

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